Den Horizont erweitern

8. April 2021 Andreas Pestke

Den Horizont erweitern

Sara und ihre Zeit auf den Philippinen

“Ich möchte meinen Horizont erweitern” – das sage ich wenn mich jemand fragt warum ich mich entschieden hätte ein Freiwilligendienst im Ausland zu machen. Das Ausland, weit weg von allen Gewohnheiten. Was ich damals noch nicht weiß ist wie weit hinter dem Horizont die Philippinen liegen.

Ich steige aus dem Flugzeug und eine Welle kommt mir entgegen als würde gerade ein Laster an mir vorbeifahren, der seinen Dampf in mein Gesicht bläst. Mit dem Unterschied, das der Laster nicht vorbei fährt. Die heiße humide Luft drückt meine Lunge zusammen. Kann ich jetzt wieder atmen?

Es ist Regenzeit. Wo ist die Sonne die in meiner Vorstellung der Traumwelt „Philippinen“ von morgens bis abends durch die Palmenblätter scheint, denke ich am nächsten Morgen als der Himmel voller grauer Wolken ist und mich noch mehr einengt als in der Nacht davor. Die Nacht in der ich nicht geschlafen habe weil mein Körper all seine Konzentration aufs Schwitzen gelegt hat. Vielleicht auch weil ich es nicht gewohnt bin mein Zimmer mit 5 anderen Mädchen teilen zu müssen. „Mein Zimmer „- ach Quatsch hier bleibe ich doch gar nicht, ich habe von vorne herein geplant in das andere Projekt zu gehen. Von vornherein, als ich dachte ganz genau zu wissen wie alles sein wird. Immerhin weiß ich das smart besser ist als Globe.

Ich habe alles alte hinter mir gelassen denke Ich. Aber warum fange ich an zu vergleichen? Ich meine nicht die Preise der Mangos die enttäuschender Weise nicht an Traumpreise erinnern. Wächst doch hier – müsste doch fast kostenlos sein, denke ich mir. Ich fange an zu vergleichen. Das WLAN im Kinderheim ist langsamer als Zuhause, wenn es überhaupt funktioniert… Und esse ich nicht lieber die Grießschnitten die Mama viel zu oft macht als jeden Tag Reis ? Naja immerhin eine Sache mit der ich gerechnet hatte aber dennoch, das Frühstück wie ein Kaiser fällt eher ärmlich aus und bleibt bei wabbeligem Toastbrot. Wie dick ich davon noch werde kann ich zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal erahnen.

Schon bald sehe ich das nächste Problem am Horizont:

Wie soll ich denn ein ganzes Jahr mit 5 Klamotten klarkommen!? Ich muss vielleicht nicht top gestyled sein um mit den Kindern spazieren zu gehen aber wenigstens in der Church wo sich alle so schick machen.

Die Verzweiflung macht sich breit als die ersten Konflikte meinen ganztägigen Arbeitstag durchkreuzen. Das soll eine Herausforderung sein? Das ist ein unlösbares Labyrinth bei dem ich mich mit jedem Schritt in die richtige Richtung noch tiefer ins durcheinander der Missverständnisse, Verletzungen und Anschuldigungen verirre.

Und dann fängt die Wehmut an als ich mir plötzlich nicht mehr aussuchen kann was ich wie wann und wo mache. „Lass niemanden sehen wenn es dir schlecht geht “ höre ich, aber ohne Privatsphäre in meinem neuen Zuhause – dem Kinderheim – sieht man es eben doch. Ich gebe mir Mühe aber ich kann mir eben nichts aussuchen. Ich kann mir auch nicht aussuchen wann ich aufs Klo gehe weil die Arbeit im Kinderheim so viel wird, dass ich es ganz vergesse. Und plötzlich bin ich dabei das Wee Wee vom Boden zu wischen oder vom Sofa als ein Kind es eben auch mal wieder vergessen hatte.

Und dann als ich eines Tages dem Geschrei der Kinder lausche geht in mir ein Licht auf. Ganz weit weg, wie die Sonne die hinter dem Horizont hervorkommt und es wird mir bewusst was Horizonterweiterung überhaupt bedeutet.

Den Horizont erweitern, das bedeutet Dinge vom einem anderen Blickwinkel aus zu sehen.

Und plötzlich fange ich an alles zu verstehen. Und aus Verständnis wird Gewohnheit und aus der Gewohnheit wird ein Gefühl von Zuhause. Und da ist Freude.

Ich beginne zu sehen wie alles in der Regenzeit noch grüner wird und noch schneller wächst. Ich mag den Regen wie er immer wieder die Straße in einen Fluss verwandelt. Das Schönste ist, wenn ich mit den Kindern durch den Regen renne und ihre lachende Gesichter sehe: Ate sara, it’s raining! Und ich liebe das heisse Wetter das mich nicht einmal an Weihnachten den Winter vermissen lässt.

Ich beginne zu verstehen, dass Privatsphäre überbewertet ist und dass die Temporäre Familie die ich nun habe dieses Opfer wert ist.

Und schnell kommt die Erkenntnis, dass ich im House of Hope am richtigen Platz gelandet bin auch wenn ich am Anfang vom Gegenteil überzeugt war.

Drei Mal am Tag Reis – Na Und?? Ich habe Menschen gesehen deren Tische und Mägen leer waren und dann ist da dieses Gefühl von…. Dankbarkeit.

Dankbarkeit für Essen, Strom und Wasser, denn selbstverständlich ist es nicht mehr. Und mein Denken verändert sich als ich begreife, dass man so viel weniger zum Leben braucht als meine deutschen Gewohnheiten es mir vorgaukeln. Und 5 T-Shirts sind genug und sogar ein Segen wenn ich an all die Zeit denke die ich mir nun spare, wenn ich mich frage was ich anziehen soll.

Sieben Kilo mehr auf meinen Hüften und mein erster Gedanke: Bevor ich zurück gehe muss das wieder weg. Aber muss ich wirklich aussehen wie das Schönheitsbild es mir sagt oder ist es nicht wichtiger, dass ich gesund bin und mich wohlfühle in meiner Haut.

Und über jedes Wort Tagalog das ich lerne freuen sich die Ates beinahe mehr als ich. Und auch wenn es Konti lang bleibt, erkenne ich wie die Leute mich anders wahrnehmen. Ich bin nicht mehr fremd.

Und die Konflikte und Herausforderungen vor denen ich wegrennen will sind plötzlich Chancen. Vielleicht werde ich ungerecht behandelt aber ich lerne damit richtig umzugehen anstatt den gleichen Fehler zu begehen. Mit den eigenen Schwächen konfrontiert werden ist gut aber ich darf auch lernen was meine Stärken sind. Denn die strahlende Kinder, die mir ihr Vertrauen und ihre Liebe schenken sind Feedback und Belohnung für mich.

Alles ändert sich wenn ich meinen Blickwinkel wechsle

Weil die Kinder nicht mehr irgendwelche Kinder sind, sondern Kinder die einen ganz besonderen und riesigen Platz in meinem Herz haben.

Weil es nicht mehr wichtig ist wie viele Klamotten man hat, sondern dass man Wasser hat und etwas zu essen.

Weil jedes Labyrinth einen Ausweg hat und wenn man ihn findet hat man ganz nebenbei viele Erkenntnisse gehabt. Auch wenn sie vielleicht erst zeigen welcher der falsche Weg ist.

Weil dieses Land hinter dem Horizont keine andere Welt mehr ist, sondern ein Zuhause.

Sara | Mit APCM auf den Philippinen

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